Montag, 16. April 2012


­­Am Anfang der Welt


Am Anfang der Welt schwebt über den grauen Wassern ein Vogel, ein Geschöpf vor der Schöpfung, mit Flügeln weit gespannt. Dann tauchen sie auf, die Rücken aus der Flut, die Wale aus dem Meer, die Sänger der Tiefsee. Begrüßen sich, schwimmen, verlanden und begrünen sich. Staffeln, schieben, türmen sich zu Gebirgen hoch, hoch hinauf zum Himalaja, an dessen Hängen Hörner blasen. Urgesänge.
Jetzt geht’s los: Eilig trippeln Schafherden die Schotterwege neben den Sturzbächen entlang. Sie werden von kleinen schwarzen Hunden getrieben, vorbei an graugrün-pelzigen Huflattichblättern und darunter den Schnecken, die die kalte Feuchte lieben. Eine Hirtin wandert hinterher, mehrere, sie spinnen im Gehen, die Spindeln wirbeln, sie zwirnen den Faden, der wird über Kreuz aufgewickelt und erneut ausgeworfen zum Wirbeln. Sie spinnen Geschichten, Lieder, Urweltmuster. Drei tibetanische Frauen mit brauner Haut, schwarzen Augen und Zöpfen, bunt gewebter Kleidung und tanzenden Spindeln. Wie es riecht: nach Schaf und Milch, nach Käse und Brennnesseln. Wie die Steine klicken, die Kiesel rollen, wenn die Hufe der Schafe dran stoßen. Daneben auf dem steilen Hang eine Herde kleiner schwarzfelliger Rinder. Pflatsch, der Dung fällt. Plitsch, pflatsch. Wie der Wind, der kalte Wind weht, und der Gießbach rauscht. (Es wird nicht gejodelt.)
Weiter geht’s. Ah, jetzt, da ist ein Gatter, offen für die Herde. Die Schafe strömen Rücken an Rücken ins steinerne Mauergeviert. Nun wird gemolken. Die Milch spritzt ins Gefäß. Es klingt hell, dann dunkler und schaumiger, bis die Schale voll ist. Schwupps, mit einem Schwall wird die Milch in einen Kessel gegossen, der über einem Feuer hängt. Im Zelt, in der Jurte? Nein, im Freien auf einem Feldsteinherd. Ja, der passt gut. Käsen, das ist Milch ernten. Dazu gibt’s Brot gemahlen aus Grassamen, Gerstenkörnern, Schrot; Fladenbrot über rundem, heißen Blech gebacken.
Plötzlich wuseln Kinder herum, trappeln, laufen, stolpern daher mit Rotzglocken, roten Backen, dreckigen Gesichtern, verfilzten Haaren. Lustig, frech und froh.
Und weil das alles am Anfang der Welt war, sind die Männer im Hintergrund geblieben, freundlich und bescheiden. Sie drängen sich nicht vor, stoßen keine Kinder weg, schieben keine Frau beiseite, brüllen keine Befehle, hauen keiner Kuh mit dem Stock hart in die Flanke, werfen keiner Katze einen Stein nach und geben keinem Hund einen Fußtritt. Da oben im Himalaja weht der Wind frisch und frei, singen die Wolkenwale, schwimmen die Nebeldelfine, sprudelt die Quelle, blinkt das Gold, scheint das Silber als Mond vom Himmel. Es wächst das Gras, es blühen die Blumen, duftet der Klee im Sommer und spinnen die Frauen. Spinnen und singen und tanzen. Käsen und buttern und kochen. Schneutzen den Kindern die Nasen, melken Schafe, kämmen die Küh, die kleinen schwarzen Yacks, filzen die Decken und heizen den Herd. Das tun sie am liebsten, wenn sie alt sind. In jungen Jahren reiten sie auf wilden Pferden und lassen sich von Himalaja-Piraten fangen und lieben. Und lieben zurück, aber wie!

Da hab ich mal einen Film gesehen, vor Jahren schon, über Tibet, eine Jurte, Mann und Frau, Kinder und Großmutter und deren Tiere. Und diese Weite! Gesehen wurde das alles aus den Augen, aus der Perspektive, eines Russen, eines Lastwagenfahrers, der seinen Karren in den Bach fuhr, in dessen Nähe die Yurte stand. Ja, und dann ging die Geschichte los.
Mein Text ist nicht eins zu eins nachgemacht. Es gab ja noch andere Tibetfotos, -bücher und -filme. Die Bilder haben mich nie ganz ausgelassen ... ich muss da mal dazugehört haben, steinbockmäßig? :-)

Lasst mir einen Kommentar oder zwei zukommen, es tät mich freuen.