Freitag, 16. März 2012

Schwestern


Diese Tundra, diese Weite! Gelbes Gras biegt sich im Wind, schneeüberstäubt. Dunkle Flecken auf der Ebene: weidende Yacks und dort ein Zelt, eine Jurte: filzbedeckt, dicht und braun. Berghänge drum herum. Auch mal ein wilder Bach.
So eine Jurte ist rund und hat eine feste Schwelle, darauf steht der Türrahmen. Innen in der Mitte das Feuer. Da kann man geborgen sein. Draußen ist die Weite. Über die Schwelle wieder hinaus, wenn’s zu eng wird. Der Wind bläst. Aber drinnen ist es still und warm. Nur das Feuer knistert. Wir hocken im Kreis schauen in die Flammen, halten heiße Becher Tee in den Händen.
Die pralle Robbenfrau ist auch da. Sie hat frischen Speck mitgebracht. Brot, Speck und Salz.
Bei den Sims im amerikanischen Computerspiel grünt der Rasen gleichmäßig. Das Grundstück ist in Quadrate eingeteilt. Man zieht die Grundmauern ein, setzt Herd, Spüle und Kühlschrank, den Feuermelder und Diebstahl-Alarmanlage nicht vergessen! Tisch und Stühle im Esszimmer, Betten und Beleuchtung im Schlafzimmer. Dann ein Bad mit Klo und Dusche zwecks der Hygenie. Anfangs muss alles billig sein, sonst reicht’s nicht mehr für die Spaßartikel, ihne die die Sims unleidlich werden, z.B. ein Kofferradio und ein Dart-Pfeil-Spiel.
Brot und Speck und Salz. – Bei Mr. und Ms Julia Sims gibt‘s Steak mit Salat und Frenchfries, zum Frühstück Rühreier. Und immer das gleiche soziale Kontaktgequatsche: What would you say if I knew about, ha? –
In der Jurte singen wir. Laut und schrill. Ein Tamburin klopft, Schneckenarmbänder und Kupferscheiben rasseln.
Country, Rock und Schmalz kommen aus der Stereo-Anlage der Sims, 2.500 Dollar, Raumwertsteigerung drei Punkte. Julia Sims tanzt. Sie trägt ein brandrotes, schulterfreies Etuikleid auf ihrer Marilyn-Monroe-Figur, high heels und lange schwarze Haare.
Was wäre, wenn Ms Julia Sims durch die Tundra zur Jurte gestöckelt käme?
Lass sie draußen, die sexy Ziege! sag ich.
Na, na, na, meint die Robbenfrau. Ein bisschen Speck auf die Taille, und sie ist in Ordnung. Die schwarze Alte kichert. Über die könnt ich viel erzählen. In jeder Jurte oder Hütte hockt eine. Die schwarze Alte, die! Dürr und zäh. Ein Zahn fehlt mindestens. Bist wohl eifersüchtig, grinst sie.
Genau, sag ich. Haargenau! Diese Julia hat eh keinen Platz. Oder willst du, dass ich rausgeh?“ Wir sind drei, ich, die schwarze Alte und die Robbenfrau. Hinter einer jeden von uns sitzen noch mal drei, wie ein Kranz aus freundlichen Schemen.
Julia ist schön, rassig und jung. Julia sitzt schon da und frisst Speck. Ihre Lippen glänzen. Die dunklen Augen sind schräg gestellt. Ihr schwarzes Haar hängt plötzlich tief und dicht über die Augenbrauen. Ein Pelzkragen umrahmt ihren Hals.
Jetzt seh ich es: Julia Sims ist Indianerin, Tochter der Robbenfrau, Enkelin der schwarzen Alten und - meine Schwester. Schwestern muss eine ja auch nicht gleich und immer mögen. Aber irgendwann.